Die Generatorin

Bild: pixabay

Die Generatorin

Zu Beginn der Großen Transformation gab es viele Bedenkenträger, die bestritten, dass die geplanten Veränderungen funktionieren würden. Insbesondere die angeblich unzuverlässigen Quellen für Elektrizität – Solarzellen und Windräder – standen in der Kritik, den Strombedarf nicht kontinuierlich decken zu können. Wie kurzsichtig. Die Verhinderung der russischen Öl- und Gaslieferungen würde diesen Kritikern schon zeigen, was alles möglich war.

Bei genauerer Betrachtung – immer dann, wenn es genügend Licht gab – machte man eine überraschende Entdeckung: Alle physikalischen Gesetze, die mit der Erzeugung elektrischer Energie zusammenhingen, waren von Männern erfunden worden! Egal ob zweiter Hauptsatz der Thermodynamik, Induktionsgesetz, ohmscher Widerstand oder Quantenphysik: Es war ein vollkommen männlich dominiertes Feld. Damit lag die Lösung auf der Hand: Die physikalischen Gesetze, die notwendig waren, um die Große Transformation zu ermöglichen, mussten von Frauen erschaffen werden! Wenn diese toxische Männlichkeit für Unmengen an toxischem CO2 gesorgt hatte, so war es nun an der Zeit, Mutter Erde mit der Kraft weiblicher Physik zu erretten. Eine feminine Physik würde die Lösung aller Probleme sein, das war mit einem Mal gewiss.

Konsequent wurden die ersten Veränderungen vorgenommen: Aus Generator wurde Generatorin, der Wind wurde zu die Wind und der Strom wurde zu die Strömin. Die Wirtschaftministerin, vor kurzem noch als Minister ins Amt gekommen, gab die Richtung vor: „Unsere Sprache enthält viel mehr Wahrheit, als es die meisten erkennen können – oder wollen. Der Atommeiler, der Kohleofen oder der Gasverbrauch – alles männliche Katastrophen. Hingegen klingt es viel friedlicher, weicher, fast poetisch, wenn wir uns der anderen Seite zuwenden: die Windparks, die Staudämme, die Solarzellen. Gerade letztere sind eine veritable Metapher auf unsere Welt. Die Zelle, Ursprungsort allen Lebens, allen organischen Wachstums und aller Schönheit der Natur. So weist uns unsere wunderbare Sprache verborgen und doch für alle ersichtlich den Weg in die Zukunft“, so Roberta H., Klimaministerin.

Manche waren der Meinung, dass dies bereits genügen würde, dass der nun deutlich ausgesprochene Wunsch nach femininer Energieerzeugung alle Probleme im Handstreich lösen würde. Schließlich kommt es einzig und allein auf die gute Absicht an. Andere wollten jedoch auf Nummer sicher gehen. In vielen rasch einberufenen Arbeitskreisen, Expertenkommissionen und Talkshow-Teilnahmen wurden fröhlich-kreative Hirnstürme erzeugt. Die Erfolgin ließ nicht lange auf sich warten: In einem Rausch von guten Absichten, faktenbefreit und haltungstrunken, entstand die Lösung unserer Probleme: das Perpetuum nobile. Es erfüllt einen uralten Traum der Menschheit, besser und schöner als je gedacht. Nicht etwa schnöde Energiegewinnung, wie es die alten Männer geglaubt hatten. Nein, es war viel mehr. Es war eine wunderbare Gerätin, welche sich nicht mit Energie aufhielt, sondern viel Bedeutenderes zu Wege brachte: Das Perpetuum nobile erzeugte unablässig Gutes! Erste Versuche waren grandios: Es machte aus die Flaute der Flaute, aus Kobalt Kobold und aus Viren kleine Staubflusen. Damit war man den Gesetzen der Physik direkt auf der Spur, denn diese sind letztendlich nichts anderes als kosmische Gewohnheiten. Und wie jede Gewohnheit – Bier trinken, Fleisch essen oder Spaß haben – kann auch diese verändert werden. Die Fachleutinnen sind weiterhin mit Elan, Kreativität und Prosecco dran. Sicherlich werden die Veränderungen einige Zeit brauchen – das Universum hat noch nicht geantwortet – doch an die Erfolgin besteht kein Zweifel.

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