Die gegenwärtige Krise hat viele Aspekte, positive wie negative. Eine der positiven Wirkungen besteht darin, dass uns Mechanismen deutlich vor Augen geführt werden, die im bisherigen – scheinbar normalen – Leben nicht mehr auffielen. So, wie man die Welt durch eine rosa Brille immer rosa sieht, ohne zu bemerken, dass man eine Brille trägt. Wir erkennen zum Beispiel, dass globale Lieferketten nicht das Nonplusultra des Wirtschaftens sind und dass die Regierungsform Chinas gewisse Eigenheiten hat, die wir bei uns nicht gerne erleben möchten. Und dass es das Phänomen des „Blockwartes“ immer noch gibt – glücklicherweise nicht nur in Deutschland.
Und noch eine Erkenntnis tritt zu Tage, falls man mit verschiedenen Leuten in Kontakt steht: es finden sich immer Menschen, die die Dinge klar in schwarz oder weiß, richtig oder falsch, gut oder böse einteilen können. Im Vertrauen auf die eigene richtige Weltsicht werden inhaltliche Diskussionen über andere Perspektiven, Möglichkeiten oder Erklärungen überzeugend abgelehnt. Im Bewusstsein des Rechthabens wird auch gerne der andere persönlich angegangen, sofern er weiter auf seiner abweichenden Meinung beharrt. Und das ist auch gut so. Denn es ist die einzige Möglichkeit, die eigene Weltsicht aufrecht zu erhalten. Bekäme sie Risse, so droht größte Gefahr: eine Erschütterung, deren Auswirkungen nicht absehbar wären. Deshalb scheint Verteidigung das einzige, was möglich ist. Im Raum aller Möglichkeiten existiert dann nur eine einzige Richtung, und jeder, der in eine abweichende Richtung weist, will eindeutig in die Irre führen.
Diese Haltung bezeichnen wir als „Frozen Mindset Syndrome“.
Sie ist notwendig und wichtig, um das „System Mensch“ aufrecht zu erhalten – so lange es sich im Angst- oder Panikzustand befindet. Denn in diesem Zustand sind die elementaren Prozesse auf Sichern des Überlebens ausgerichtet, jede Ablenkung wäre fatal und potenziell tödlich. Das innere Fundament, auf welchem die Welt in uns aufgebaut ist, muss geschützt werden, da von dort aus alle Handlungen initiiert werden. Von einem schwankenden Boot kann weder eine exakte Beobachtung gemacht noch ein gezielter Schuss abgefeuert werden. Deshalb darf nichts schwanken, wenn wichtige Entscheidungen getroffen werden. Das Mindset, das innere Weltbild, muss fixiert und ohne Zweifel sein. Nur dann können sichere Schritte gegangen werden.
Gerade die Vielzahl der Informationen, die über Medien, Internet und Gespräche auf jeden von uns einströmen, macht es wichtig, eine funktionierende Filterfunktion zu haben. Hier sind die öffentlich-rechtlichen Medien sowie die großen bekannten Publikationen sehr hilfreich, da sie immer nur eine Sicht auf die Welt widergeben, welche die richtige ist. Dies ermöglicht es, die eigene Weltsicht quasi „offiziell“ bestätigt zu wissen, sogenannten Verschwörungstheoretikern erfolgreich zu begegnen und ohne Zweifel in die ungewisse Zukunft zu gehen. Denn als Teil der Mehrheit kann niemandem Böses geschehen. Und falls doch, dann trifft es alle gleich, und man ist in jedem Fall kein Risiko eingegangen.
So scheint es zumindest.
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