Gravitationsleugner

Ein für seine Forschungen zu Kristallen bekannt gewordener Physiker veröffentlichte im September eine verwegene Theorie, nachdem sich die Zeit dehnen oder stauchen lassen könne. Und nicht nur das, sogar der Weltraum solle sich angeblich „krümmen“ können. Erwartungsgemäß bezog die Gemeinde der Physiker sofort Stellung. „Die Newtonschen Gesetze gelten seit hunderten von Jahren und sind damit unwiderruflich bewiesen. Diese neue Theorie ist eine Leugnung physikalischer Realität. Man könnte sie mit Fug und Recht als Gravitationsleugnung bezeichnen.“

Seine umstrittenen Theorien lösten einen Sturm der Entrüstung auf Twitter, Facebook und Instagram aus. Alle Social Media Plattformen sahen sich gezwungen, jegliche Links und Videos zur Website des umstrittenen „Wissenschaftlers“ zu löschen, da sich viele Nutzer von den kruden Gedanken bedroht fühlten. Eine Reihe von Accounts wurde komplett gesperrt, da sie sich aktiv an der Verbreitung der abwegigen Verschwörungstheorie beteiligt hatten. An vielen Universitäten flüchteten Physikstudierende in sogenannte ‚Safe Rooms‘, um sich vor dem gefährlichen Gedankengut in Sicherheit zu bringen. Dem Aufruf eines Professors, die Theorie in einer Diskussion zu überprüfen, wurde eine klare Absage erteilt, da Gravitationsleugnern keine Bühne geboten werden solle. Der Professor wurde daraufhin in das Archiv versetzt.

Der International Council on Physics and Post-Truth (ICPP) schloss den Physiker umgehend aus seinem Kreis aus und fordert, den für seine Forschung über den photoelektrischen Effekt erhaltenen Nobelpreis umgehend zurückzugeben. Seine ungeheuerlichen Behauptungen über eine „dehnbare Zeit“ seien ein Schlag ins Gesicht für jeden vernünftig denkenden Menschen, insbesondere für Frauen, Politiker und Uhrmacher.

Unserer Redaktion gelang es, einen Kommentar des derart Angegriffenen zu erhalten, der entgegen aller Erwartungen einen optimistischen und tatendurstigen Eindruck machte (was allein schon auf vollkommen fehlende Schuld- und Schamfähigkeit hindeutet). Er behauptete: „Wenn ich unrecht hätte, so bräuchte es nur einen einzigen Wissenschaftler, um dies zu beweisen, keine 99 Prozent.“ Was er damit meinte ist allerdings vollkommen unklar, da jede Theorie in Physik oder Chemie durch Mehrheitsentscheidung in den Fachgremien oder auf Twitter zur offiziellen Wahrheit wird.

Wir empfehlen dem besagten Physiker, einem gewissen Albert Einstein, eine Auswanderung in die USA zu erwägen, da er hierzulande wohl keinerlei Gehör mehr finden wird.

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