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Es war einmal eine Idee

Es war einmal eine Bande von sehr reichen Männern, die mehr Geld, Güter und Macht hatten als fast alle anderen Menschen. Dennoch hatten sie große Furcht. Sie fürchteten sich davor, dass andere ihnen ihren Reichtum wegnehmen könnten. Denn ein gar grässliches Gespenst ging um in diesen Tagen. Es war eher ein Gedanke, eine Idee, deren Zeit vielleicht schon bald kommen sollte. Hinter vorgehaltener Hand wurde sie vorsichtig verbreitet. Man nannte sie Demokratie.

Den reichen Männern blieb dies nicht verborgen, sie hatten ihre Späher und Spitzel allüberall. Sie wussten nur zu gut, was dies für sie bedeuten würde: wenn diese Idee sich verbreiten würde, so könnte das gemeine Volk Gesetze erlassen, die ihren Reichtum gefährdeten. Das Schrecklichste wäre, wenn sie ihnen das Recht nehmen würden, Geld aus dem Nichts zu erschaffen, die wichtigste Quelle ihrer Macht. So trafen sie sich an einem geheimen Ort auf einer einsamen Insel, um zu beratschlagen, wie sie dieser größten aller Gefahren begegnen konnten. Nach tage- und nächtelanger Beratung, Streitereien und hitzigen Wortgefechten fanden sie schließlich eine Lösung. Sie stellte sich alsbald ein, als sie akzeptieren, dass diese hässliche Idee namens Demokratie schon zu weit fortgeschritten war, um sie noch zu verhindern.

Als die Lösung auf dem Tisch lag waren sie ganz verwundert, weshalb es drei Tage und Nächte gebraucht hatte, darauf zu kommen. Nun endlich war klar, wie sie es anstellen würden, um ihre Macht und ihren Reichtum nicht nur zu behalten, sondern sogar noch zu vergrößern. Ab sofort würden sie die größten Befürworter dieses neuen Gedankens sein, der sich „Herrschaft des Volkes“ nannte. Sie unterstützen die Idee der Demokratie, wo sie nur konnten. Und tatsächlich gelang es, dieses neue System in den ersten Ländern einzuführen: alle erwachsenen Männer durften sich ihre Führer selbst wählen. Es funktionierte, und erstmals gab es eine Regierung, die tatsächlich vom Volk gewählt worden war.

Endlich Teilhabe an der Macht

Die Menschen waren voller Freude, denn ab sofort würde alles besser werden. Keine Kriege mehr, keine Leibeigenen, keine Hungersnöte und keine Willkür mehr, denn sie selbst saßen als Souverän am Tisch der Macht. Der Reichtum würde ab sofort gerechter verteilt werden und die Gesetze würden allen zugutekommen, nicht nur den Privilegierten. Das Leben würde gerechter und voller Möglichkeiten für alle werden.

Doch – oh weh – irgendetwas war schiefgelaufen! Wieder und wieder mussten die Männer in Kriege ziehen, die sie nicht einmal verstanden. Die Reichen blieben reich, die Armen arm und die Gerichte sprachen ihre Urteile meist zu Gunsten der Hochgestellten. Wie konnte das sein? Sicher lag es an den falschen Kandidaten, die bei der Wahl auf den Listen standen. Andere mussten her, solche, die wirklich die Interessen des Volkes vertreten würden.

Gesagt, getan. Bei der nächsten Wahl standen andere Parteien und Personen auf den Zetteln und das Volk wählte begeistert die anderen. Nun würde sicher alles anders, alles besser werden! Doch – oh weh! Es blieb alles so, wie es war, manches wurde sogar schlimmer! Dabei hatten sie doch ihr demokratisches Recht ausgeübt und die Kandidaten gewählt, die versprochen hatten, die Dinge besser zu machen. Was war nur geschehen? Das Volk zweifelte und murrte.

Währenddessen wurden die reichen Männer noch reicher und mächtiger. Seit ihrem damaligen Treffen fanden sie sich nun regelmäßig zusammen, um über den Lauf der Welt gemeinsam zu sinnieren. Eine ihrer besten Ideen war es gewesen, die Zeitungen zu kaufen. Doch nun kam etwas Neues: Radio und Fernsehen. Was war zu tun? Schnell fassten sie den Plan und beschlossen, wer welchen Sender errichten, wer welche Kinoproduktion steuern solle. Da alle etwas aus dem großen Korb abbekamen gab es keinen Streit, sondern große Eintracht.

So ging es Jahr für Jahr weiter, die größte Neuerung war, dass nun auch Weibsvolk wählen durfte. Die Mächtigen hätten es gerne verhindert, da sie nun ganz andere Argumente für ihre Kandidaten erfinden und auch auf deren Aussehen achten mussten. Doch schließlich wuchs man an seinen Herausforderungen und am Ende ging es so weit, dass sogar Frauen in die Politik durften. Doch die reichen Männer blieben unter sich.

Jahrzehntelang geschah nichts Ungewöhnliches, die Mächtigen trafen sich, wählten die Kandidaten aus, die dem Volk präsentiert wurden und teilten den Gewählten mit, was sie zu tun hatten. In der Zwischenzeit hatten sie auch erkannt, dass diese Lösung viel besser war als alles, was sie vorher hatten. Denn stets, bei jeder noch so brutalen Entscheidung, konnten sie sagen: ihr habt das selbst gewählt! Wählt eben das nächste Mal anders. Und das Volk glaubte es immer wieder, von Jahr zu Jahr und von Wahl zu Wahl. Denn niemand, absolut niemand, wagte es, die Demokratie anzuzweifeln. Dafür sorgten alle Zeitungen, alle TV-Sender und alle Radiostationen.

Ein neuer Zauber erscheint

Nun geschah es aber, dass eine Erfindung sich im gesamten Reich verbreitete. Eine Erfindung, die ganz gewöhnlichen Menschen den Zauber verlieh, ihr Wissen an viele andere zu verbreiten. Dies gab es in der Menschheitsgeschichte noch nie. Stets waren es die Mächtigen, die entschieden, was dem Volk mitgeteilt werden sollte. Es war der wichtigste Zauber, um die Gedanken und Ideen des Pöbels zu lenken. Denn die Furcht vor der Masse des Volkes war nie ganz verschwunden. Würden diese entdecken, dass sie viel mächtiger waren als die Wenigen, die all das Geld, alle Macht und all die Informationen horteten, so könnte ihnen genommen werden, was doch von Natur aus ihnen allein gehörte! Abermals beriefen sie ein Treffen ein, um die neue Gefahr zu bannen.

Nach vielen Tagen fanden sie wiederum zu einem Plan. Er war ein wenig komplizierter als der letzte, denn tatsächlich war die Welt in den letzten Jahren vielschichtiger geworden. Doch in weiser Voraussicht hatten sie sich seit geraumer Zeit Wissenschaftler gehalten und gut gefüttert, die ihnen darob zutiefst ergeben waren. Dies war auch ein schöner Vorteil ihres Reichtums: sie konnten sich alles und jeden kaufen, den sie wollten. Nun war es an jenen, sich erkenntlich zu zeigen. Sie rechneten tausendundeine Möglichkeit durch, um eine Lösung zu finden. Und sie wurden fündig. Der Plan war mutig. Manche meinten, das Risiko wäre zu groß, das Volk würde den Glauben an die gleichsam absurden Verkündigungen verlieren. Gerade noch rechtzeitig kam ihnen in den Sinn, dass sie nicht nur über die Regierungen und das Geld gebieten konnten, sondern auch über die Gerichte, die Gendarmen und die Generäle. Und dass sie jeden, der eben dieses behauptete, in ein Verlies werfen lassen würden.

Ein neuer Plan

Nun, der Plan war kompliziert und einfach zugleich. Kompliziert war, dass sehr viele Wörter eine neue Bedeutung erhalten mussten, was tatsächlich eine ganze Weile dauerte. Doch nun ist es fast vollbracht. Ebenfalls kompliziert war es, Menschen, die sich seit Jahren oder Jahrzehnten kannten – die sogar Freunde waren – gegeneinander aufzubringen, um so einer Vereinigung entgegenzuwirken. Doch auch dieses ist nun geschehen und es war ein großer Erfolg. Einfach war es dagegen, all diejenigen zu brandmarken, die mit dem Finger auf diese Machenschaften zeigten. Man musste einfach nur sagen, sie wären rechts und Feinde der Demokratie. Schnell wurden diese Verräter aus dem Verkehr gezogen und in den sozialen Kerker gesperrt. Auf beiden Seiten des großen Teiches ward dies folgenreich praktiziert.

Doch ein letztes großes Ungemach bestand noch immer. Wirre Gestalten stellten Marktplätze zur Verfügung, auf denen die Leute alles sagen durften, was sie wollten. Dies stellte natürlich eine große Gefahr für die Demokratie dar, denn sie kann nur funktionieren, wenn es zu allem eine einzige Meinung gibt, an der sich das gemeine Volk orientieren kann. Woher würden sie sonst wissen, wen sie wählen sollten? Um diese Verwirrung zu beenden, wurden die Marktplatzherren (es waren stets Männer) letztendlich gefügig gemacht. Den einen wurde die Mitgliedschaft in den Zirkeln der Macht angeboten, den anderen wurden schöne Dirnen zugeführt, mit denen sie unzüchtige Dinge treiben konnten. Die davon erstellten Lichtbildaufnahmen werden in den Schlössern und Burgen der Retter der Demokratie ausgewählten Besuchern gerne vorgeführt. Den wenigen, die diese großzügigen Angebote abschlugen, musste allerdings drastisch gezeigt werden, wie das Große Spiel in Wirklichkeit funktioniert. Wer sich selbst den Göttern nahe fühlte, dessen Flügel sollten jäh verbrennen. Dafür sorgten die Götter und ihre Helfer unbarmherzig seit Jahrhunderten. Denn eines war immer klar: Bestrafe einen, erziehe Tausende.

Zwei Marktplatzherren weigern sich bis heute, die freie Rede abzuschaffen. Deshalb beschlossen die Hohen Herren, ein Zeichen zu setzen. Sie lockten einen dieser Wirrköpfe in eines ihrer Länder und ließen ihn von ihren Schergen festsetzen. Niemand weiß, was sie im Verließ mit ihm angestellt haben. Wurde er den Folterknechten vorgeführt? Wurde seine Schatzkammer geplündert? Was auch immer geschah und noch geschehen wird: die Kombination seines Geheimschlüssels ist und bleibt das Ziel der Verteidiger der Demokratie. Dem Volk wird derweil verkündet, dass all dies zu seinem Besten geschieht, denn Raub und Unzucht würden auf jenem Markplatz ihr Unwesen treiben. Das Volk, jedenfalls der Teil, der den Verkündigungen der Mächtigen glaubt, ist froh, dass derlei Rabaukentum nun beendet wird. Denn auch, wenn diese Menschen immer ärmer und unsicherer werden, eines wissen sie gewiss: ihre demokratisch gewählten Herrscher sorgen stets gut für sie.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Manova

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