Zwei Welten

Eine der erschreckenden Erkenntnisse der letzten Jahre war, dass es bei den großen Themen der Gesellschaft unmöglich wurde, unterschiedliche Standpunkte zu diskutieren. Egal ob mit Familie, Freunden oder Kollegen, das Ergebnis war meist dasselbe: nach wenigen Worten stand man sich unversöhnlich gegenüber, oft wurde gar die Freundschaft gekündigt, sogar Paare trennten sich deswegen. Egal, ob Corona, Klima oder Ukraine: es gab und gibt scheinbar keinen Weg, um die Standpunkte in gegenseitigem Respekt auszutauschen.

Warum wurde alles derart radikal? Weshalb explodierten die Emotionen innerhalb weniger Sätze auf ein bisher bei solchen Themen ungekanntes Maß? Und: wird das in Zukunft bei den entscheidenden Themen so bleiben? Eine Erklärung wird kaum mit einer einzigen Ursache auskommen, hier werden zwei untersucht, die bisher wenig Berücksichtigung fanden.

Erstens: Es stoßen zwei Welten aufeinander, die nicht miteinander kompatibel sind. Die eine Welt ist diejenige, die aus der veröffentlichten Meinung resultiert. Damit ist die Realität gemeint, die aus den Berichten der Medien, den Worten von Politikern und den Statements ausgewählter Experten gebildet wird. Es ist scheinbar die Wirklichkeit, die Realität, so wie sie ist. Die zweite Welt ist diejenige, die von Menschen bewohnt wird, die neben all den offiziellen Versionen sich regelmäßig mit weiteren Sichtweisen beschäftigen. Die gewohnt sind, zwei Seiten einer Medaille zu betrachten, während die erste Gruppe ausschließlich den Blick auf eine Seite kennt. Nicht einmal ahnt, dass es eine zweite Seite gibt. Sie glauben an die Idee, dass es zu allen Ereignissen genau eine Interpretation, eine Wahrheit gibt. Jeder, der etwas anderes behauptet, kann nicht mehr ernst genommen werden. Oder hat gar Böses im Sinn. Kein Wunder, dass hier eine Verständigung so gut wie ausgeschlossen ist.

Es ist dieses totale Nichtverstehenkönnen, dieses Entsetzen auslösende Erlebnis, dass es Menschen gibt, die die Realität verleugnen. Die -scheinbar – einzig existierende, vollkommen reale und wahre Wirklichkeit. Die entweder verrückt, böswillig oder komplett fehlgeleitet sein müssen, denn eine „normale“ Erklärung für solches Verhalten, solche Ansichten ist nicht vorstellbar. Um es ganz klar zu sagen: es sprengt den Rahmen des Vorstellbaren, dass die einzige existierende Realität in Zweifel gezogen werden könnte. Außerdem ist mittlerweile den Mitgliedern dieser Gruppe auf das Eindringlichste eingeschärft worden, dass derart abweichende Ansichten deutliche Zeichen sind für Verschwörungstheoretiker, Rechtsextreme oder Querdenker (eindeutige Zitate von Politikern und Journalisten gibt es dazu massenhaft, sogar Friedensdemonstranten werden von Kanzler Scholz als „gefallene Engel aus der Hölle“ bezeichnet. Über die Schmähungen und Hassreden zu Zeiten von Corona muss nichts mehr gesagt werden). Klar ist: hier handelt es sich um gefährliche Subjekte, mit denen man sich auf keine Diskussion einlassen darf. Womöglich könnte sonst noch etwas abfärben.

Die Gruppe der sich unabhängig informierenden Menschen hat irgendwann in ihrem Erkenntnisprozess bemerkt, dass einiges – oder vieles – des bisher Geglaubten so nicht ganz stimmen kann. Sie haben sich die Mühe gemacht, durch eigene Recherchen, Gespräche und soziale Netzwerke Zugang zu weiteren Standpunkten zu verschaffen. Das ist ein langwieriger Prozess, der Zeit, Engagement und Medienkompetenz verlangt. Und der auch in die Irre führen kann. Einige, die sich erstmals anlässlich der Coronakrise mit den Hintergründen des polit-medialen Machtkomplexes auseinandergesetzt haben, sind mitunter über das Ziel hinausgeschossen, da es ihnen an der notwendigen Erfahrung fehlte, um Übertreibungen oder absichtliche Fehlinformationen zu erkennen. Wobei man mit absoluter Sicherheit davon ausgehen kann, dass Fake Theorien von den Geheimdiensten dieser Welt absichtlich erzeugt wurden und werden, um damit die Skeptiker in die Irre zu führen. Dazu hier aber nicht mehr.

 

Die Rückseite der Medaille

Entscheidend ist folgende Tatsache: die Gruppe der sich breit Informierenden hat die Fähigkeit ausgeprägt, Ereignisse aus mehreren Perspektiven zu betrachten und zu interpretieren. Das ist der fundamentale Unterschied zu Gruppe eins, die nur jeweils eine Perspektive kennt. Und noch nicht einmal ahnt, dass es mehrere geben könnte. Die einen können die Medaille also umdrehen und von beiden Seiten betrachten, während die anderen nicht einmal wissen, dass es eine zweite Seite gibt. Sie wissen es nicht. Wie werden sie also reagieren, wenn ihnen jemand etwas von der Rückseite der Medaille erzählt? Werden sie interessiert nachfragen, was darauf geprägt ist? Werden sie sagen, „Oh, das ist ja schön, da gibt es noch mehr als ich wusste!“ oder etwa „Erzähl mir davon, das ist ja wie eine zweite Welt!“.

Nein.

Dem steht eine fundamentale psychologische Kraft entgegen, nämlich der Schutz des eigenen Weltbildes. Ganz egal, ob es einem Menschen bewusst ist, dass er die Welt niemals erkennen kann, sondern nur einen kleinen Teil, der dann sein Bild von der Welt darstellt, oder ob er der Ansicht ist, dass die Welt so ist, wie sie oder er sie sieht: er wird diese Sicht verteidigen. Denn das ist die Basis für unser Weltverständnis, in das wir alles einordnen, was wir sehen, hören, riechen, erleben etc. Das in jedem Menschen existente Weltbild ist auch die Basis für sein Bild von sich in der Welt, seinen Platz, seine (scheinbaren) Möglichkeiten und seine Beziehungen (und noch mehr). Er könnte sich selbst, sein ICH, gar nicht verorten ohne diese Landkarte in seinem Geist. Dieses Bild von der Welt ist absolut fundamental – für jeden.

Und nun kommt jemand und behauptet: dieses Bild ist unvollständig, gar falsch. Welche Reaktion wäre zu erwarten? Wut, Ärger, Abwehr erscheinen durchaus als angemessene Reaktion. Und genau das geschieht seit Jahren. Immer, wenn diejenigen kommen, die behaupten, es gäbe mehr als eine Seite der Medaille, mehr als eine – für alle gültige – Realität. Das Ergebnis ist bekannt und zu Beginn des Textes beschrieben. Ein unlösbarer Konflikt.

Unhinterfragte Überzeugungen

Aber damit nicht genug. Ein zweiter Effekt sorgt dafür, dass alles noch dramatischer wird. Es gibt eine Reihe psychologischer Erklärungen dazu, weshalb dieser Effekt beim Einzelnen unterschiedlich stark ausgeprägt ist, vorhanden ist er bei jedem. Die Trennlinie ist hier weniger scharf, und doch teilt er wiederum die Menschen in zwei Gruppen.

Der Effekt besteht darin, dass ein Teil von uns den Autoritäten stark vertraut, der andere Teil eher misstrauisch ist. Erstere glauben, dass es die Regierung prinzipiell gut mit der Bevölkerung meint und dass die Medien im Großen und Ganzen die Wahrheit berichten. Der andere Teil ist sich sicher, dass es sich exakt andersherum verhält, dass Politiker und andere Machtgruppen ihre ganz eigene Agenda verfolgen und die großen Medien ihre Macht permanent missbrauchen. Wie nun sollen diese beiden Gruppen vernünftig miteinander diskutieren können? Es ist kaum vorstellbar. Und die Erfahrung der letzten Jahre lehrt uns, dass es tatsächlich nicht funktioniert.

Im Gegenteil, es wird extrem viel dafür getan, dass es auch in Zukunft nicht funktionieren wird. Auf der einen Seite werden den etablierten Medien gigantische Summen zur Verfügung gestellt, um ihre Aufgabe der Wahrheitsverkündung und Realitätserzeugung auf allen Kanälen auszubauen. Auf der anderen Seite werden immer weitere Gesetze erlassen, die „Desinformation“, „Hassrede“ oder „Fake News“ unter Strafe stellen. Dabei gibt es für keinen der Tatbestände eine eindeutige Definition, es kann auch keine geben. Denn dazu müsste man tatsächlich wissen, was jeweils die „Wahrheit“ ist. Das ist aber bei komplexen Sachverhalten wie Kriegen, Wirtschaftskrisen, Virenausbreitung, klimatischen oder geopolitischen Vorgängen prinzipiell unmöglich. Prinzipiell. Das bedeutet, es gibt keine einfache Wahrheit. Es kann auch niemals einen wissenschaftlichen Konsens geben, da dies das Gegenteil von Wissenschaft wäre (sie lebt seit mindestens 300 Jahren von Theorie, Widerlegung oder Verfeinerung, neuer Theorie usw.).

 

Der Kampf gegen „Desinformation“

Mit anderen Worten: da, wo es vollkommen unmöglich ist, „Wahrheit“ zu definieren, da ist jede Definition von „Desinformation“ zum Scheitern verurteilt. Das heißt nicht, dass es grobe Falschinformation nicht geben würde. Die gibt es durchaus, sehr verbreitet sogar, vielfach gerade von den „offiziellen“ Quellen (ist diese Aussage bereits Desinformation oder Hassrede?). Aber man kann keine rechtlich sinnvolle Abgrenzung dafür finden. Dennoch wird ein Gesetz nach dem anderen erlassen, das gerade darauf baut. Warum?

Die Antwort ist sehr klar und einfach. Es stellt die einzige Möglichkeit dar, zu allen relevanten Themen nur eine Sichtweise, eine Wahrheit als legal zu postulieren. Egal, wie merkwürdig, ja gar den Gesetzen von Physik oder Statistik widersprechend (Energiewende, Inzidenzzahl ohne die Angabe der Testhäufigkeit, PCR-Tests ohne Festlegung der Wiederholrate, massive Erhöhung der Kohleverstromung mit hoher CO2-Produktion u. v. m.): es wird exakt eine Sichtweise dazu verbreitet, jede andere ist „Desinformation“ oder Fake News. Wie Hannah Arendt bereits konstatierte: über Tatsachenwahrheiten kann nicht diskutiert werden. Es geht also darum, Tatsachenwahrheiten zu proklamieren. Das dient natürlich dazu, das dünne Eis, auf dem sich die Machthabenden bewegen, zu stabilisieren. Denn je mehr Menschen zu der Erkenntnis gelangen, dass die Medaille eine zweite Seite hat, desto schwächer wird die Position derjenigen, die alles tun werden, um eines nicht zu verlieren: eben ihre Macht. Deshalb ist mit dem Machtanspruch untrennbar auch der Anspruch auf Deutungshoheit verbunden, umso mehr, je vielfältiger dank des Internets die Informationsmöglichkeiten sind.

Damit können wir feststellen: Menschen, die nur eine Seite der Medaille erkennen, werden niemals mit denjenigen vernünftig diskutieren, die beide (oder gar noch mehr) Seiten sehen können. Den „Einseitern“ ist nicht bewusst, dass sie einen großen Teil der Wirklichkeit ausblenden, weshalb sie auch durch Fakten nicht erreicht werden können. Sie verteidigen in jedem Fall ihr Weltbild (wie die anderen übrigens auch, allerdings mit mehr Perspektiven). Zweitens: die Autoritätsgläubigkeit verstärkt diesen Effekt massiv. Regierung und Medien meinen es gut, das anzuzweifeln ist Anarchie. Und welcher normale Mensch diskutiert mit realitätsleugnenden Anarchisten oder gar „Rechten“?

Die Macht des Zweifels

Am Ende einer solchen Betrachtung wünscht man sich meist einen positiven Ausblick. Und den gibt es! Durch die Pandemiepolitik sind Millionen von Menschen ins Zweifeln gekommen. Sie haben bemerkt, dass vieles nicht eingetreten ist, vieles nicht gestimmt hat, was mit brutalster Propagandamacht eingetrichtert wurde. Sie sind verunsichert. Sie wissen, dass etwas nicht stimmt, suchen nach neuen Säulen des Vertrauens. Sie sind bei der nächsten Propagandaschlacht schwerer oder kaum noch zu manipulieren, einen zweiten Coronawahn wird es für sie nicht geben.

Es ist die Aufgabe der Gruppe mit breiterer Medienkompetenz hier Brücken zu bauen. Behutsam, mitfühlend, interessiert. Niemand verändert sein Weltbild in zwei Wochen oder gar in einem Gespräch (und falls doch, so kommt meist Chaos dabei heraus). Es geht nicht um die bösen Mächte im Hintergrund, die Weltverschwörung oder die Vernichtung von 80% der Menschheit, sondern es geht darum, in Kontakt zu bleiben, Hinweise zu geben und achtsam zu diskutieren. Denn niemand wird je seinen Standpunkt ändern, wenn er dem anderen misstraut. Viele kleine Samenkörner zu legen ist erfolgversprechender als die Holzhammermethode. Und irgendwann – in Monaten oder Jahren oder bei der nächsten großen Propagandawelle (etwa vor den kommenden Wahlen in den USA) – könnten sie zu keimen beginnen.

Ebenfalls veröffentlicht vom Sandwirt, einer unabhängigen Seite mit vielen interessanten Autoren.

 

Keine neuen Texte verpassen

Benachrichtigung zu Neuerscheinungen und Lesestoff (alle 4 bis 8 Wochen)

Hier eintragen für Infos
beim Erscheinen neuer Texte
oder Bücher!
(ca. alle 8 Wochen)

Newsletter

Eintragen